Eine Chronologie von Jens Kaup Bis 1847
Während es auf der Hannöverschen Südbahn bis Göttingen keine nennenswerten Steigungen gab,so war der Weiterbau bis zum südlichsten Punkt des Königreichs Hannover, nach Münden umso schwieriger. Bei der Planung des letzten Abschnittes ergab sich das Problem die Wasserscheide zwischen Leine und Weser zu überwinden. Es standen drei mögliche Pässe zur Auswahl. Die einfachste Möglichkeit war die Trasse über Eichenberg zu führen, in etwa so wie die heutige Strecke im Werratal. Dieses wurde jedoch verworfen, weil mit hessischen Gebiet „Ausland“ berührt werden musste. Die zweite in Erwägung gezogene Trasse führte über Mariengarten und Hedemünden ins Werratal und hätte zwar zu sehr günstige Steigungsverhältnissen geführt, bedurfte aber eines 2,8 Km langen Tunnels, den damals längsten der Welt. Interessanter Weise gab es keine Zweifel über die Durchführbarkeit des Tunnelbaus – als Nachteil erschien eher die lange Bauzeit. So legte man sich auf die schwierige Trassenführung über Dransfeld fest, was nicht nur ausgedehnte Aufschüttungen und Einschnitte zum Höhenausgleich zur Folge hatte, sondern auch trotz der nachträglichen Serpentine bei Großellershausen Steigungen bis zu 16 Promille und die daraus folgenden Probleme bei der Betriebsführung.
November 1851 Begannen die Arbeiten an den Einschnitten für denVolkmarshäuser Tunnel. Man hatte
sich aufgrund der günstigen Geologischen Verhältnisse für einen Tunnel und gegen einen sehr tiefen Einschnitt entschieden um die Anhöhe Hünenburg oberhalb von Volkmarshausen zu überwinden. Die schöne Geschichte, der König habe ausdrücklich einen Tunnel gewünscht, gehört in den Bereich der Legenden. Der Tunnelbau war schlicht und ergreifend weniger aufwendig als andere Alternativen.
September 1852 Wurde der eigentlichen Bau des Tunnels in Angriff genommen. Der Tunnelbau wurde von beiden Enden zunächst als Richtstollen von ungefähr 2,30m Breite Höhe und 4,06m Höhe vorangetrieben. Durch die große Festigkeit gab es beim Vortrieb keine Probleme. Gearbeitet wurde auf zwei Terrassen, wo jeweils zwei Mann mit Schwarzpulver (das Dynamit war noch nicht erfunden) Sprengungen setzten und mit Hammer und Spitzhacke das Gestein lösten, das dann mit Loren, den “Hundewagen” abtransportiert wurde. Mit dem Gestein wurde dann mittels Bohlenwegen und Schubkarren die Aufschüttungen im weiteren Streckenverlauf weitergeführt. Das ganze Baumaterial wurde mit durch Drahtseile gesicherte Pferdewagen über schiefe Ebenen aus dem Wesertal auf die Anhöhe transportiert.
Am 20. April 1853, um 7 Uhr abends gelang der Durchbruch unter dem Jubel der Bergleute. Die Vermesser hatten glänzend gearbeitet, die Maßabweichungen am Treffpunkt betraf nur 50cm. Von da an war auch das größte Problem der ganzen Bautätigkeit beseitigt, der Pulverdampf machte die Arbeit der Bergleute unerträglich und auch Experimente mit verschieden Pumpen sorgten nur unzureichend für eine Verbesserung der Atemluft. Nun wurde die Tunnelröhre auf 21 Fuß (ca. 6,13m) Höhe und 27 Fuß 5 Zoll Weite (8,0m) erweitert und mit Kinkersteinen aus Kassel (also mit hessischem Material) ausgemauert.
wurden dann auch die Tunnelportale vollendet. Der Sandstein kam aus dem nordhessischen Trubenhausen bei Großalmerode (ebenfalls hessisches Material, mit Schiffen herangebracht!). Das uns heute sehr aufwendig verziert erscheinende Portal (das Südportal mit den Wappen des Königs von England und dem Welfenroß, das Ostportal mit den Inschriften „BEGONNEN 1852“ und „VOLLENDET 1855“) wird im Ingenieurbericht von 1855 übrigens als “einfach” bezeichnet und seine reine Nutzfunktion betont. Die veranschlagten Kosten wurden, aus heutiger Sicht unvorstellbar, deutlich unterboten - anstelle der Schätzung von 99.970 Talern betrugen die tatsächlichen Kosten nur 88.639 Taler. Die ursprünglich vorgesehenen Tore aus Holz sind nie eingebaut worden. Nur die eisernen Heften für die Scharniere sind sogar noch heute vorhanden.
Am 8. Mai 1856 Wurde der Bahnbetrieb nach Hann, Münden offiziell eröffnet. Von Beginn an als
zweigleisige Hauptstrecke konzipiert. Es herrschte übrigens Linksverkehr, wohl eine Auswirkung der engen verwandschaftlichen Beziehungen der Welfen zum englischen Könighaus mit zeitweiliger Personalunion. Der Betrieb machte aber große Schwierigkeiten und die Anschaffung spezieller Lokomotiven (die ersten mit Sandstreuvorrichtung in Deutschland) und aufwendigen Schiebebetrieb notwendig. Auf der Südseite des Tunnels wurde der Posten 106 eingerichtet, auf der Ostseite der Posten 105.
1867 wurde die Strecke Göttingen - Bebra fertiggestellt.
1872
erfolgte die Vollendung der Halle-Casseler Eisenbahn mit der heutigen Strecke Göttingen - Münden - Kassel über Eichenberg. Damit stand eine, zwar deutlich längere Trasse, aber ohne Problem für den Fahrbetrieb zur Verfügung. Die Strecke über Dransfeld und durch den Volkmarshäuser Tunnel wurde zwar nominal als Hauptstrecke weiterbetrieben, führte aber ab bereits nach 16 Jahren nur noch ein Schattendasein. Die Firma Henschel nutzte die schwierige Strecke aber gerne für Testfahrten. So fuhren hier in den dreißiger Jahren diverse Dampftriebwagen oder Probefahrten durch die Dampfmotorlok der Baureihe 19.10 und anderer Exoten sind belegt.
1874 Bekam auch Oberscheden seinen Bahnhof.
1943 Wurde auf weiten Teilen der alten hannöverschen Südbahn, so auch im Bereich des Tunnels, das zweite Gleis abgebaut. Das zweite Gleis wurde auch nach dem Krieg nicht mehr wieder eingebaut. Im Bereich des Tunnels wurde in der Nachkriegszeit das Gleis etwas in die Mitte verschwenkt.
Am 5. April 1945 sprengten abziehende deutsche Truppen den 1855 erbauten Viadukt über die Werra. Auch die Werrabrücke bei Laubach wurde gesprengt, so daß keine Züge mehr von Göttingen nach Kassel fahren konnten. Nach dem Kriegsende wurde daher am Posten 110 eine provisorische Endhaltestelle eingerichtet, der spätere Haltepunkt Münden Nord. Die Reisenden mußte hier aussteigen und zu Fuß mehrere Kilometer über die intakt gebliebene historische Werrabrücke zum Mündender Bahnhof laufen. Mangels Umsetzmöglichkeiten am Posten 110 fand ein haarsträubender Schiebebetrieb statt. Die Züge wurden ab dem Bahnhof Oberscheden über ca. 7 Km ohne Steuerwagen (!) geschoben! Der entsprechende Fahrplan ist in dem Miba Spezial Heft 29 “Modellbahnepochen” abgedruckt.
Zum Winterfahrplan 1947/48 Tauchte das erste Mal der Haltepunkt Volkmarshausen im Fahrplan auf. In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde der direkt an der Südseite des Tunnels gelegene Haltepunkt angelegt. Die Gründe liegen im Dunklen, laut Manfred Hartmann könnte es ein Zusammenhang mit dem guten Beziehungen des Besitzers der Filzfabrik im Schedetal mit der britischen Militärregierung geben.
Am 14. Mai 1949 wurde der Betrieb über die wieder aufgebaute Werrabrücke in Münden wieder
aufgenommen. Der Haltepunkt Münden Nord “Nordbahnhof” wurde aber bis zum Ende des Betriebes beibehalten. Da die Brücke bei Laubach erst etwas später fertig wurde, ging wieder für kurze Zeit der ganze Betrieb zwischen Göttingen und Kassel über die alte Hannöversche Südbahn. Da durch den stark angestiegen Nord-Südverkehr im Nachkriegsdeutschland die Eichenberger Strecke überbeansprucht war, erlebte auch die alte Hannöversche Südbahn eine erheblichen Aufschwung. Zahlreiche F- und D-Züge, meist bespannt mit Hannoveraner 01 und Kasseler 01.10 befuhren die Strecke. Immer mußte mit 44ern nachgeschoben werde. Dieser Fernverkehr lief fast nur in Nord-Südrichtung. Auch der VT 08 als Ft Roland war regelmäßiger Gast, ebenso wie kurze F-Zuggarnituren mit V 200 und 3 oder vier blauen Wagen. Überhaupt war der Betrieb in den 50er und 60er Jahren sehr abwechslungsreich. Personenzüge wurden mit den Baureihen 78.10, 38.10, 41 und 50 bespannt. Nahgüterzüge natürlich mit 50. Durchgangsgüterzüge mit 44 und Eilgüterzüge mit 41 mit entsprechendem Nachschub. Im Personendienst liefen auch häufig Akkutriebwagen. Die preußischen Wittfelder bis 1959, die „Kasseler Zigarren“ ETA 176 von 1954 bis 1959. Dann folgten 1959 bis 1980 die ETA 150. Diese ETAs wurden gerne auch im Verband mit VT 60.5 eingesetzt!
Am 5. Februar 1955 kollidierte der Gliedertriebzug VT 10 “Komet” als Ft 49 Senator direkt hinter Osteingang des Volkmarshäuser Tunnels mit Gesteinsbrocken, die heruntergefallen waren. Am Triebzug erstanden erhebliche Schäden - glücklicherweise gab es aber keine Personenschäden.
Am 5. September 1964 wurde der elektrische Betrieb der Eichenberger Strecke eröffnet. Auch die Bebraer Strecke wurde elektrifiziert. Durch den damit erreichten wesentlich größeren Durchfluß konnte nun der gesamte Fernverkehr über diese Strecken abgewickelt werden. Die alte hannöversche Südbahn hatte endgültig nur noch regionale Bedeutung. Es fuhren nur noch Nahgüter- und Bummelzüge.
Am 24. Mai 1974 fuhr der letzte planmäßige Dampfzug. Das letzte Mal bespannte eine Ottbergener 44er den
Morgenpersonenzug von Northeim nach Hann. Münden. Die eingesetzte 044 084 war Zeit ihres Lebens nur im Weserbergland stationiert. Wie immer wurde anschließend Tender voraus (die Drehscheibe in Münden war für die 44er zu klein) eine Nahgüterzugleistung wieder zurückgebracht. Den gesamten Betrieb übernahmen jetzt nur noch 212, 216, 260 und 515.
Am 4. Juni 1974 führte dann 044 492 als Ersatzleistung für eine liegengeblieben 212 die endgültig letzte Dampfleistung durch.
Am 31. Mai 1980 kam dann das, was kommen mußte - der letzte “Hohe Hagen Express” beendete die Ära des offiziellen Personenbetriebes. Der Streckenabschnitt Göttingen – Dransfeld wurde stillgelegt. Der Güterbetrieb Münden - Dransfeld (zuletzt nur noch bis Oberscheden) wurde noch eine Weile in immer bescheideneren Rahmen weitergeführt. Da auch der Futtermittelhersteller Hemo Mohr gegen seine Absicht gedrängt wurde, nicht mehr über die Schiene zu verladen und gleichzeitig die Bundeswehr ihre Verladestelle über die Mündener Hafenbahn aufgab, verrotteten die Gleise nur noch vor sich hin.
Im April 1995 fand die letzte offizielle Fahrt statt. Eine V60 (inzwischen von der DB AG 365 154 genannt) mit Lokomotivführerschülern fuhr noch mal von Münden durch den Tunnel bis Oberscheden.
Am 10. September war es endgültig soweit, der Tunnel wurde das letzte mal durchfahren. Ein verwegener Trupp Eisenbahnfreunde drang, trotz offizieller Sperrung der maroden Werrabrücke, mit einem VT98 noch einmal bis Oberscheden vor. Danach wurde die Brücke verbarrikadiert. Eine der wohl schönsten Eisenbahnstrecken Norddeutschlands war ab diesen Moment nur noch Geschichte.
Im März 2000
Wurden die Gleise im Tunnel demontiert. Sehr schnell holt sich die Natur ihr Terrain zurück, viele Streckenteile sind schon komplett zugewuchert. Die Werrabrücke von 1949 rostet vor sich hin. Wo sich einst der Posten 110 bzw. der Haltepunkt Münden Nord befand, entsteht jetzt eine Musterhaussiedlung. Auf dem Abschnitt zwischen Posten 104 (Bahnübergang bei den Klusteichen) und dem leider abgerissenen Bahnhof Oberscheden haben sich Jäger einen auf den Gleisresten fahrbaren Hochsitz gebaut. Aus dem Schutt des Postenhäuschens105 wachsen verwilderte Rosenstöcke. Der Volkmarshäuser Tunnel und der Haltepunkt Volkmarshausen ist heute, mitten im Wald gelegen, so etwas wie ein verwunschen Ort. Der Tunnel ist Gott sei Dank nicht zugemauert worden und immer noch begehbar. Ein Besuch lohnt sich auf jeden Fall.
Mein Dank gilt Manfred Hartmann † und Dr. Johann Dietrich von Petzold für ihre Hinweise und Auskünfte.
Literatur:
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